Mit dem Eintritt in die 20er Jahre dürften wir zweifelsfrei vor einer Zeitenwende stehen – jedenfalls dann, wenn wir die Folgen der menschenverursachten Klimakrise ernsthaft in den Griff bekommen wollen. Die unmittelbare Dringlichkeit aber gepaart mit maximaler Komplexität macht diese Herausforderungen zu einer absoluten Herkulesaufgabe. Oder anders ausgedrückt, mit den Worten von Greta Thunberg: „Avoiding climate breakdown will require cathedral thinking. We must lay the foundation while we may not know exactly how to build the ceiling.” Und genau darum soll auch es auch in diesem Beitrag gehen: welche grundlegenden Aspekte gilt es überhaupt in den Blick zu nehmen, damit ein solides Fundament für die klimaneutrale Gesellschaft entstehen kann? Ich meine, es sind vor allem die folgenden drei.
Technologie
Fast alle Bereiche unseres alltäglichen Lebens werden nach wie vor ganz wesentlich von der Verbrennung fossiler Brennstoffe dominiert – genauer gesagt: die Stromerzeugung hängt an der Kohle, unsere Mobilität am Öl und unsere Heizungen am Gas. Derart emissionsintensiv aber kann und darf es nicht weitergehen, das ist mittlerweile sogar an der Spitze der EU-Kommission angekommen. „I’m convinced that the old growth model that is based on fossil fuels and pollution is out of date.“ – so hat Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des EU Green Deal im vergangenen Dezember formuliert. Was deshalb jetzt vor uns liegt ist dürfte nichts Geringeres als eine grüne industrielle Revolution in Form der vollständigen Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaft bis spätestens Mitte des Jahrhunderts sein. Unverzichtbar dafür werden effiziente und skalierbare Technologieinnovationen sein, die gesellschaftliche Prosperität vom Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase entkoppeln. Die regenerative Energieerzeugung aus Wind und Solar liefert dafür eine beeindruckende Blaupause, hat damit doch das industrielle Rückgrat der Klimaneutralität in weniger als 20 Jahren kompetitive Marktreife entwickelt. Um aber eine vollumfänglich fossilfreie Systemarchitektur zu implementieren, wird es noch einiger Anstrengungen bedürfen – sowohl in Form von ambitionierten unternehmerischen Investitionsvorhaben als auch klugen politischen Incentivierungen. Die Machbarkeit eines solchen Szenarios im europäischen Staatenverbund aber steht grundsätzlich außer Frage, gibt es mittlerweile genügend Forschungsergebnisse. Ab jetzt muss deshalb vor allem eine Devise gelten: Machen! Machen! Machen!
Naturschutz
Die technologische Dekarbonisierung unseres Lebensstils alleine aber wird unseren Planeten vermutlich nicht wieder ins Gleichgewicht bringen, dafür ist der unaufhörliche Raubbau an unseren natürlichen Lebensgrundlagen zu verheerend. Denn: wenn wir weiterhin ohne Rücksicht auf Verluste die Weltmeere leerfischen und zumüllen, ganze Landstriche dem Anbau von Futtermittel und ausufernden Infrastrukturprojekten opfern sowie den Boden für unseren scheinbar unstillbaren Ressourcenhunger plündern, scheint es fast ausgeschlossen, dass sich eine friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Natur einstellt. Am Beispiel des Amazonas-Regenwald wird schnell klar, warum die Klimakrise nicht ausschließlich eine technische Herausforderung ist – denn: dieses tropische Gebiet in Südamerika ist nicht nur ein gewaltiger Kohlenstoff-Speicher und somit eine regelrechte Klimaanlage für unseren Heimatplaneten, sondern agiert auch als biotische Pumpe und beeinflusst damit globale Wetterphänomene. Ernstgemeinter Klimaschutz muss deshalb mehr sein als das Lösen einer abstrakten CO2-Bilanz, vielmehr braucht es ein deutlich erhöhtes Maß an verantwortungsvoller Interaktion mit unserer Umwelt. Und wenn wir es damit wirklich ernst meinen, scheint es auch nicht ausgeschlossen, dass sich sogar gesamte Ökosysteme nahezu vollständig regenerieren (ein eindrucksvolles Beispiel dazu liefert der TED-Talk von Allan Savory über die Begründung von Wüstengebieten). Insofern gilt es vor allem die Worte von Harrison Ford auf dem Global Climate Action Summit im Gedächtnis zu behalten: „If we don’t protect nature, we can’t protect ourselves.”
Kulturwandel
Um wirksame Veränderungen aber möglichst effektiv zu induzieren, wird es zusätzlich einem Narrativ der ökologischen Moderne bedürfen, welches die Herausforderungen der Klimakrise in ein positives Momentum des Fortschritts übersetzt. Der Denkansatz sollte deshalb vielmehr lauten: von der Gesellschaft zum Klimaschutz, und nicht umgekehrt. Die industrielle Massentierhaltung ist zweifelsfrei wegen ihrer Klimaschädlichkeit zu kritisieren, noch viel mehr aber aufgrund ihrer ethisch mehr als fragwürdigen Vorgehensweisen. Die automobile Verkehrskollaps belastet in vielen urbanen Umgebungen nicht nur die Luft, sondern ganz wesentlich auch ein fröhliches Lebensgefühl – mehr Bewegung, weniger Stress und noch dazu genügend Platz für Grünfläche o.Ä, als das würde eine attraktive Infrastruktur für Fahrradfahrer mit sich bringen. Und wenn wir nicht nur kommunale Wertschöpfungsstrukturen stärken wollen, sondern uns noch dazu auch weniger abhängiger von autokratischen Machthabern anderer Länder abhängig machen wollen, dann lohnt es sich die Energieerzeugung vom Energieverbrauch nicht länger derart zu entkoppeln, wie es bei den fossilen Strukturen zumeist Fall ist. In letzter Konsequenz gilt es deshalb vor allem an einer Welt zu arbeiten, die nicht nur klimaneutral, sondern in vielerlei Hinsicht auch fairer, inklusiver und resilienter als es heute der Fall ist – denn nur wenn wir diese Aspekte nicht aus den Augen verlieren, wird sich ein gesellschaftliches Engagement entfalten lassen, das den Anforderungen dieser Jahrhundertaufgabe gerecht wird. Und wie essenziell ein solch ganzheitliche Problembetrachtung ist, unterstreichen nicht zuletzt die Ergebnisse von Project Drawdown, denen zufolge unter den Top10 Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise zwei Aspekte sind, die zumindest ich dort nicht erwartet hätte: „Reduced Food Waste“ (Platz 3) und „Educating Girls“ (Platz 6).
Summa summarum bleibt deshalb, wie ich miene, vor allem eine Quintessenz: es geht weder um Technologie oder Naturschutz, noch genügt es sich ausschließlich auf diese beiden Aspekte zu fokussieren. Vielmehr dürfte ein guter Ratgeber sein, was Barack Obama einst so wunderbar formuliert hat: „A change is brought about because ordinary people do extraordinary things.“
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