Ehrlich gesagt: ich kann mich an keinen Moment in den zurückliegenden Jahren erinnern, der mich politisch desillusionierter zurückgelassen hat als der 20. September 2019. Über Wochen und Monate hatte sich Druck auf die Bundesregierung aufgebaut, um adäquate Maßnahmen zu beschließen, damit die Zielpfade des Pariser Klimaschutzabkommens verlässlich eingehalten werden. Weltweit waren an ebenjenem Freitag massive Proteste angekündigt und auch die politischen Protagonisten hatten die Messlatte im Vorfeld hochgesetzt – Vize-Kanzler Olaf Scholz sprach gar von einem „großen Wurf“, der da präsentiert werden sollte.
Was dann als inhaltlicher Durchbruch verkündet wurde, hat mich zugegebenermaßen von den Socken gehauen und fast den ganzen Tag nicht mehr losgelassen: eine Preisarchitektur, die dafür sorgt, dass auch im Jahr 2021 eine Tonne CO2 weniger kostet als eine Maß Bier auf dem Oktoberfest. Mit diesem Moment wurde zweifelsohne eine riesengroße Chance vertan, um dieses Land einerseits endlich konsequent an der wohl zentralsten Herausforderung des 21. Jahrhunderts auszurichten und andrerseits ein solides volkswirtschaftliches Fundament zu konstruieren, damit Deutschland die vielen darin liegenden Chancen auch zu seinem Vorteil nutzen kann.
Insofern ist die bitterste Erkenntnis wohl auch die, dass nicht wenige politische Entscheidungsträger der aktuellen Bundesregierung die Dringlichkeit und strukturelle Bedeutsamkeit dieses bevorstehenden Transformationsprozesses noch nicht in letzter Konsequenz realisiert haben (wollen). Für mich persönlich manifestiert sich das vor allem an den folgenden drei Aspekten.
1) Lauter halbe Sachen.
Wir wissen was die Klimakrise verursacht hat (der Ausstoß von Treibhausgasen) und wir wissen ebenso was zu tun ist, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen (den Ausstoß von Treibhausgasen stoppen). Insofern sollte die Sache auch aus Perspektive der Gesetzgebung relativ klar sein (zumindest nach meinem Verständnis) – denn jede Art von Schlingerkurs verringert die Planungssicherheit für Unternehmen und lässt Raum für gesellschaftliche Zwietracht. Tatsächlich aber sind halbgare Maßnahmen nicht nur vereinzelt im Klimapaket zu finden, sondern im Prinzip über alle Sektoren hinweg.
Bsp. Verkehr:
- Obwohl die CO2-Abgabe nur in homöopathischen Dosen erhoben wird, erfolgt ein Ausgleich mittels Erhöhung der Pendlerpauschale. Besonders eklatant: es profitieren gerade zu Beginn vor allem Menschen mit guten Einkommen und weiten Wegen. (Quelle)
- Was dagegen vollends fehlt, ist ein klare Bekenntnis zu einem grundlegenden Strukturwandel der Mobilität in urbanen Gebieten. Auch wenn die Umsetzung zumeist kommunale Aufgabe ist, könnte der Bund durch kluge Gesetzesanpassungen (gerade in der StVo) und finanzielle Unterstützung diese Entwicklung deutlich stärker forcieren.
- Besonders gerne und viel Geld wird allerdings in die Hand genommen, wenn es um den Anschub der Elektromobilität geht. Dagegen ist grundsätzlich erst einmal nichts einzuwenden – dass aber auch Plug-in-Hybride dazu zählen und derart exzessiv gefördert werden, ist kaum zu erklären. Die Ergebnisse im realen Testumfeld hinsichtlich Spriteinsparung sind zumeist ernüchternd, weshalb sich bspw. inzwischen auch die holländische Regierung wieder von einem solchen Subventionsmodell verabschiedet hat. (Quelle)
- Und als wäre das nicht schon genug: die Einnahmen aus der vermutlich nutzlosen Zusatzbepreisung im umweltschädlichsten aller Verkehrssektoren (Erhöhung der Luftverkehrsabgabe – Inlandsflüge: +5,50 EUR) werden, so wie es aussieht, in darbende Regionalflughäfen zurückfliesen. Der gesunde Menschenverstand scheint dabei wohl irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein. (Quelle)
Bsp. Gebäude:
- Zwar soll der Einbau von Ölheizungen, die umweltschädlichste aller Wärmetechniken, „verboten“ werden – allerdings erst ab 2025. Die Folge davon dürfte sein, dass es in den nächsten Jahren noch zu einer Art „Investitionsrallye“ kommen könnte – nach dem Motto „So lange es noch geht“ und ganz im Sinne der Mineralölwirtschaft. Und selbst über das Jahr 2025 hinaus könnte das Verbot nicht ausnahmslos sein, wie einige schwammig formulierten Sonderregelungen vermuten lassen. (Quelle)
- Hinzu kommt erschwerend: wenn wir einen fossilen Brennstoff durch einen anderen fossilen Brennstoff ersetzen, ist das zwar eine Veränderung – allerdings keine, die dem Klima hilft. Erst jüngst hat eine Studie der Energy Watch Group herausgearbeitet, das die Treibhausgasemissionen von Erdgas über den gesamten Förder- und Verbrennungsprozess deutlich schädlicher sind als angenommen. Für alte Ölheizungen stattdessen neue Erdgasheizungen einzubauen ist insofern eine Lösung, die mittelfristig einen vernünftigen ordnungspolitischen Rahmen braucht. Im Klimapaket allerdings ist davon so gut wie nichts zu finden. (Quelle)
Bsp. Energie:
- Zwar wurde als Zielvorgabe für das Jahr 2030 ein Strommix mit anteilig 65% Erneuerbaren Energien festgehalten – im Umkehrschluss aber soll für den wichtigsten Erzeugungsträger (Windenergie) einen Mindestabstand von 1.000m zur nächsten Siedung (schon ab 5 (!) Häusern) fixiert werden. Die Entrüstung über dieses mutwillige Abwürgen der Energiewende ist sogar so groß, dass sich Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbände gemeinsam mit einem Schreiben an den Bundeswirtschaftsminister gewendet haben. Und das völlig zurecht, denn sollten diese Pläne so umgesetzt werden, könnten sich die Planungs- und Bauflächen für Windkraftanlagen nahezu halbieren. Ganz abgesehen noch zusätzlich von dem Irrsinn, dass mit einer solchen Regelung Braunkohlekraftwerke, Mülldeoponien, Steinbrüche und Kleintierkrematorien näher an Wohnsiedlungen sein dürften als Windräder. (Quelle)
- Aber es kommt noch schlimmer: auch noch der Kohleausstieg wird vergeigt. Auf Empfehlung der „Kohlekommission“ sollten die durch das Abschalten der Meiler entsprechend verfügbaren CO2-Zertifikate dem Europäischen Emissionshandel entzogen werden, um eine langfristige Wirksamkeit dieses Marktmechanismus sicherzustellen (weniger Zertifikate, höhere Preise) – völlig logisch eigentlich. Allerdings scheint genau das nicht zu passieren, womit der Effekt eines deutschen Kohleausstiegs für europäische Klimaschutzambitionen nicht besonders gewinnbringen sein dürfte. (Quelle)
- Zusätzlich soll im nächsten Jahr aller Voraussicht nach sogar noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen (Datteln IV) – auch dieser Schritt entgegen einer ausdrücklichen Empfehlung der Kohlekommission. (Quelle)
- Und überhaupt macht die Bundesregierung keinerlei Anstalten, den Ausstieg aus der Kohleverstromung auch nur minimal nach vorne zu verlegen. Die „Kohlekommission“ hat zwar als Enddatum 2038 empfohlen, per Öffnungsklausel aber auch die Möglichkeit zu einem Ausstieg schon im Jahre 2035 ins Spiel gebracht. Dafür müsste aber der Einstieg in den Ausstieg zügig eingeleitet werden – und genau daran hapert es ebenfalls: die exakte Regelung für die Abschaltung der Braunkohlekraftwerke liegt immer noch nicht vor und für die Stilllegung der Steinkohlekraftwerke visiert die Bundesregierung eine freiwillige Lösung an. „Kohleausstieg ganz ohne Zwang“ titelt die taz passenderweise – und wenn die Vergangenheit der fossilen Brennstoffindustrie eines lehrt, dann vor allem, dass damit kein progressives Vorankommen zu bewerkstelligen ist. (Quelle)
Nimmt man nur diese ausgewählten Aspekte einmal zusammen, so bekommt man zumindest ein Gefühl dafür, wie sehr es diesem Klimapaket an einer grundsätzlichen und konsistenten Systemarchitektur fehlt. Ein vom Aktionismus getriebener Kauderwelsch ungeahnten Ausmaßes, bei dem sich nicht wenige Beschlüsse teilweise sogar gegenseitig konterkarieren. „Unfassbar“ ist vermutlich noch das geeignetste Wort, um diese umweltpolitische Geisterfahrt präzise zu beschreiben – denn außer Frage steht schon jetzt, dass dieses Maßnahmenpaket nie und nimmer ausreichen wird, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen.
2) Dilletantisch bis zum geht nicht mehr.
Es war im Prinzip über ein halbes Jahr Zeit (seit dem ersten globalen Klimastreik im März), um sich der Sache in aller Konstruktivität einmal anzunehmen und kluge Lösungen zu finden. Hinzu kommt: bereits die Klimaschutzziele für 2020 werden krachend verfehlt, insofern hätte man eigentlich davon ausgehen können, dass bereits fertige Vorschläge in den Schubladen liegen, um die Angelegenheit bis 2030 wieder in Griff zu kriegen. Schlussendlich aber hat die CDU 4 (!) Tage vor der finalen Sitzung ihr parteiinternes Positionspapier verabschiedet und in einer Nachtsitzung wurde dann ab Freitagabend über die wohl wirtschaftspolitisch bedeutendste Frage der kommenden Jahre verhandelt.
Mit ordentlicher Vorbereitung hat das nichts mehr zu tun. Oder wie es Harald Lesch in einem Fernsehinterview treffend formuliert hat: „Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe in Nachtsitzungen noch nie richtig was auf die Beine gestellt was dann wirklich auch funktioniert hat. (…) Hier geht’s um eine ganz große und wichtige Angelegenheit, die kann man doch nicht in einer Nachtsitzung besprechen, die muss man doch tagsüber mit klarem Kopf bei hellem Tageslicht besprechen – und nicht in einer Nachtsitzung, wo es dann darum geht wer gewinnt: Gesäß oder Gehirn.“
Folgt man darüber hinaus den Rekonstruktionen des SPIEGEL, so kommt man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus: auch um fünf Uhr morgens war sich die Koalition über den zentralste aller Bausteine, die CO2-Bepreisung, noch nicht einig. Mit welcher Schludrigkeit hier offensichtlich über die Zukunft dieses Landes entschieden wurde, ist fast schon atemberaubend – denn genau hier offenbart sich die ganze Tragödie: sämtliche Experten hatten empfohlen mit einer CO2-Bepreisung als Leitinstrument der Klimapolitik zu arbeiten und entsprechend Ausgleichsmechanismen zu konzipieren, um soziale Härtefälle zu vermeiden.
Die Bundesregierung aber hat sich (aus Gründen, die wir wohl nie erfahren werden) in aller Grundsätzlichkeit für das Gegenteil entschieden – sprich: zuerst „attraktive“ Maßnahmen fixieren und dann einen CO2-Preis auskungeln, der dazu passt. In der Folge ist ein Flickenteppich an Beschlüssen entstanden, der für Symbolpolitik genügen mag – darüber hinaus aber bleibt vieles von dem ausgeklammert, was die notwendige Wirksamkeit zuverlässig induzieren könnte: eine konsequente Internalisierung der Klimafolgekosten, ein Subventionsabbau für umweltschädliche Industriezweige, eine konkrete Deckelung des CO2-Budgets und ein klarer sozialpolitischer Rahmen – um an der Stelle nur die vermeintlich wesentlichsten zu nennen. Für Wirtschaft und Gesellschaft kann daraus kein Schuh werden, weil sich keinerlei Planungssicherheit für die nächste Dekade ableiten lässt.
Die Pressekonferenz zur Vorstellung der Ergebnisse war insofern auch nur ein weiteres Sinnbild dafür, mit welcher politischen Hasenfüßigkeit sich die Koalitionäre zu einem Minimalkompromiss durchgerungen haben – sieben (!) Redner*innen auf einer Bühne, eine*r nach dem anderen lobt die Entscheidungen über den grünen Klee und keine*r fühlt sich bei der wahllosen Aneinanderreihung leerer Worthülsen auch nur im Ansatz unwohl. Markus Söder spricht gar von der „Goldenen Mitte“, die beim Klimaschutz gefunden wurde, um dann ein paar Sätze später in gewohnt verbaler Breitbeinigkeit zu verkünden, dass beim Ausbau Erneuerbarer Energien für Bayern eine Sonderregelung gilt und die 10-H Regel bestehen bleibt – oder wie er es selbst ausgedrückt hat: „Wir machen das weiter so wie bisher.“
In aller Öffentlichkeit hat sich deshalb einmal mehr offenbart: die Protagonisten der Regierungskoalition sind zwar ein Meister des Verwaltens, mit der Ausgestaltung einer ökologischen Moderne aber scheinen sie überfordert.
3) Agenda 2030. Was ist das?
Was mich persönlich insofern wirklich am allermeisten auf die Palme bringt, ist das krude Verantwortungs- und Anspruchsdenken der Entscheidungsträger dieses Klimapakets. Deutschland ist eines der reichsten Länder dieser Welt und zählt nach wie vor zum Kreis der führenden Industrienationen – angesichts der technologischen Herausforderungen einer volkswirtschaftlichen Dekarbonisierung wäre es, wie ich meine, nur folgerichtig, wenn sich Made in Germany selbstbewusst an der Spitze dieser Entwicklung positionieren würde.
Leitmarkt für Elektromobilität, Kohleausstieg so schnell wie möglich, Vorreiter einer vollständig erneuerbaren und möglichst dezentralen Energieversorgung, modernste Gebäudetechnologien im ganzen Land, eine konsequente Vorfahrt für Fußgänger/Radfahrer und öffentliche Verkehrsmittel im urbanen Raum, umfassende Naturschutz- & Renaturierungsvorhaben zum Schutz der Biodiversität und natürlich eine konsequente CO2-Bepreisung, damit klimaschonende Geschäfts- und Gesellschaftsmodelle sich endlich monetär lohnen und eine dynamische Entwicklung nehmen können – all das würde diesem Land, wie ich meine, überaus hervorragend zu Gesicht stehen und nachhaltig gut tun. Denn: in letzter Konsequenz dürfte kluger Klimaschutz vor allem ein volkswirtschaftliches Modernisierungsvorhaben sein.
Mit dem vorgelegten Maßnahmenpaket aber hat die Bundesregierung ein mangelhaftes Rumgewurschtel zusammengezimmert, das offensichtlich durch eine toxische Mischung aus fehlendem Gestaltungsanspruch zentraler politischer Figuren und massiven Lobbyismus (des CDU-Wirtschaftsflügels) entstanden ist.
Dass diese „große“ Koalition derart mutlos agiert und die aktuell auch gesellschaftlich günstige Ausgangslage nicht einmal zu antizipieren versucht hat, ist beides: ein herber Schlag ins Gesicht für all jene, die sich für verantwortungsvollen Umwelt- & Naturschutz engagieren – und eine vertane Chance, dieses Land endlich fit fürs post-fossile Zeitalter zu machen.
Insofern kann man es vor diesem Hintergrund nur mit der Einschätzung von Ottmar Edenhofer halten: „Es mag sein, dass sich die Politik in der Kunst des Möglichen geübt hat. Aber sie hat es nicht verstanden, das Notwendige möglich zu machen.“
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Danke!
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