Was Innovation wirklich ist – und was nicht.

“Corporate Ambidexterity – Frameworks and Requirements to strengthen Innovation Capabilities”, das war der Titel meiner Masterarbeit. Und damit all die gewonnenen Erkenntnisse nicht einfach wieder in der Schublade verschwinden, will ich von Zeit zu Zeit einige Inhalte an dieser Stelle veröffentlichen. Los geht’s.

Die inflationäre Verwendung dieses Wortes scheint aktuell kein Ende zu nehmen. Unternehmen unterschiedlichster Art eröffnen Innovation Labs, manche suchen sogar nach innovativen Mitarbeitern und die FDP fordert eine Innovation Nation. Insofern ist es sicherlich keine Übertreibung zu behaupten, dass dieser Begriff in vielen Fällen zu einem oberflächlichen Buzzword geworden ist. Das ist schade — umgekehrt soll es aber kein Grund sein, sich trotzdem einmal klar vor Augen zu halten, was damit eigentlich gemeint ist.

Die folgende Definition (#1)…

Innovation = Idee + Invention + Diffusion

…liefert dafür einen ersten guten Ansatzpunkt, weil sich eine relativ präzise Abgrenzung erkennen lässt. Eine Idee beispielsweise ist immer Teil einer Innovation, ein erster Schritt — allerdings nicht mehr und nicht weniger. Ähnliches gilt für eine Invention (Erfindung), die sozusagen auf einer Idee aufbaut und diese in eine praktisch-realisierbare Lösung überführt — in Form eines Prototypen etwa. Aber erst mit dem dritten Schritt, der marktseitigen Diffusion, sollte man von einer echten Innovation sprechen.

Konkret lässt sich mit diesem Denkmuster beispielsweise auch erklären, warum Tesla in Sachen E-Mobilität aktuell deutlich innovativer wahrgenommen wird als fast alle anderen OEMs — weil das Unternehmen von Elon Musk nicht nur eine Idee oder eine Kleinserie eines attraktiven Elektroautos im Köcher hat, sondern auch ein Produkt, dass sich gut verkauft und von Besitzern geschätzt wird. Insofern ist der Erfolg im Sinne von Marktresonanz ein fundamentaler Bestandteil von Innovation. Wenn auch ergänzt werden sollte, dass Erfolg natürlich immer einer individuellen Beurteilung unterliegt und die Messbarkeit eines solchen Erfolges speziell zu Beginn eines Projekts besondere Bewertungsmethoden erfordert.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wodurch sich eine Innovation ganz grundsätzlich auszeichnet und wie eine solche entstehen kann. In dieser Hinsicht scheint die folgende Definition (#2)…

innovation = human desirability + technical feasibility + economic viability

…überaus hilfreich, wonach eine Überlappung dieser drei wesentlichen Anforderungen den sweet spot of innovation bezeichnet. Der Wunsch und die Bedürfnisse des Kunden spielen dabei, logischerweise, eine zentrale Rolle. Innovation ist, wenn der Kunde „Hurra!“ schreit — damit ist in dieser Angelegenheit zumeist alles gesagt. Allerdings gibt es dafür noch zwei Einschränkungen, denn Unternehmen haben, wenn auch in ganz unterschiedlicher Ausprägung, eine Kapazitätsgrenze an verfügbaren Ressourcen. Insofern liegt die Kunst der Innovation darin, mit Produkten und Dienstleistungen einen Kundennutzen zu erzeugen, die sowohl technisch realisierbar als auch — zumindest mittelfristig — wirtschaftlich tragbar sind.

Mit diesem zusätzlichen Blickwinkel auf Innovation wird auch verständlich, warum der ein oder andere kritische Beobachter von Tesla nur bedingt überzeugt ist — weil bisher noch der ultimative Beweis fehlt, dass deren zweifelsohne großartige Produkte auch in eine profitable Kostenstruktur eingebettet werden können. (Wobei außer Frage steht, dass der Aufbau und die Skalierung eines Automobilkonzerns überaus kapitalintensiv sind.)

Und zu guter Letzt gilt es noch zu klären, ob innovativ immer neu sein muss — nicht wenige verwenden diese Begriffe ja fast synonym. Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass vieles was als neu wahrgenommen oft auch innovativ ist. Auch dabei denkt manch einer schnell an Autos von Tesla. Ein Blick in das erste Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts zeigt aber, dass die Vorstellung eines massentauglichen Elektroautos keineswegs aus der Luft gegriffen ist — denn zu diesem Zeitpunkt hatte elektrisch angetriebene Automobile in den USA einen Marktanteil von 40%, erst danach begann die Erfolgsgeschichte des Verbrennungsmotor. Der Begriff neu im Zusammenhang mit Innovation ist deshalb immer relativ und zumeist eher wenig hilfreich. Denn umgekehrt gilt genauso, nicht alles was innovativ ist muss zwangsläufig neu sein — die aktuelle Entwicklung rund um Podcasts ist dafür ein wunderbares Beispiel, ist doch weder das Konzept noch die Technologie wirklich bahnbrechend an diesem Format. Und trotzdem ist der innovative Charakter in vielen Fällen unbestreitbar.

Betrachtet man Innovation jedoch einmal ausschließlich durch die Brille der erzeugten Value Proposition, dann lässt sich vielmehr eine Erneuerung des Kundennutzen feststellen. Tesla hat weder das Auto noch das Fahren neu erfunden, wohl aber die Umstände des Autofahrens für viele Menschen erneuert — mit bisher kaum erlebten Beschleunigungsmomenten und deutlich geringeren laufenden Kosten (Elektromotor), fortlaufenden Anpassungen zur Performanceoptimierung (over-the-air Updates) oder teilautonomen Fahrerassistenzsystemen (Autopilot). Die praktische Anwendung dieser angeführten Technologiesysteme führt in Summe aber nicht deshalb zu innovativen Produktcharakteristika, weil Sie alleinstehend völlig neu wären, sondern weil sie sich in vielen Fällen signifikant von den bisherigen Umständen des Autofahrens und somit auch vom Vorgehen etablierter Wettbewerber unterscheiden.

Innovation braucht deshalb primär Differenzierung, was in vielen Fällen durchaus Neuheit beinhalten kann und soll — aber eben nicht zwangsläufig muss. Und innovativ sein bedeutet vor allem: Dinge besser zu machen, zur Freude des Kunden und zum Wohl der eigenen Organisation. Innovation Labs beispielsweise, die zwar spektakuläre Ideen und schön anzusehende Konzepte entwickeln, aber von der konkreten Umsetzung meilenweit entfernt sind, haben ihren Namen eigentlich nicht verdient.


> Picture is taken from pixabay.com <