Mesut Özil ist Muslim. Frank Ribery ist Muslim. Sami Khedira ist Muslim.
Alle drei überaus geschätzte und anerkannte Profifußballer in oder aus Deutschland. Ihr Glaube aber scheinbar und somit auch ihre Persönlichkeit haben in Deutschland nichts verloren – jedenfalls wenn es nach Horst Seehofer geht, dem neuen Innen- und Heimatminister. Eine verstörende Debatte wie ich finde, die an Stumpfheit und politischer Rücksichtslosigkeit kaum zu überbieten ist. Denn die Frage, die am Anfang und am Ende einer jeder gesellschaftlichen Debatte stehen muss, sollte doch sein: wie bringen wir unser Land voran? Horst Seehofer aber sieht das wohl anders, denn diese Diskussion bringt überhaupt nichts voran.
Der gesellschaftliche Rahmen, in dem wir uns als Bürger bewegen, ist mit Grundgesetz und der damit verbundenen Rechtsprechung ausreichend abgesteckt. Dort ist die Religionsfreiheit niedergeschrieben, aber auch, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Radikalismus und Terror haben in diesem Land nicht verloren, darüber herrscht breiter Konsens. Die Frage, ob eine Religion zu einem Land gehört oder nicht, ist somit völlig belanglos. Angela Merkel hat in ihrer letzten Regierungserklärung dazu gesagt: „Der Islam ist Teil von Deutschland.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Jeder Mensch der hier lebt ist mitsamt seiner Persönlichkeit ein Teil von Deutschland.
Was dagegen nicht zu diesem Land gehört und was auch kein Teil von diesem Land sein sollte, sind persönliche Verhaltensweisen, die anderen Menschen Schaden zufügen. Ansonsten kann hier jeder machen was er will, das soll und muss der Anspruch einer liberalen Demokratie sein.
Immer wieder betont Horst Seehofer, dass der Islam vor allem HISTORISCH nicht zu Deutschland gehört. Als junger Mensch kann ich mit solchen verbalen Schludrigkeiten wirklich überhaupt nichts anfangen. Ich bin als dritte Generation in einem Land aufgewachsen, das für das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte verantwortlich ist. Diese Verbrechen gehören nicht zu Deutschland, aber es ist Teil der deutschen Geschichte. Ich kann mir vorstellen, wie bescheuert ich mich fühlen würde, wenn nun 70 Jahre später eine Debatte vom Zaun gebrochen wird, ob der Holocaust jetzt zu Deutschland gehört oder nicht.
Die nicht unwesentlichen Zustimmungswerte für Horst Seehofer zu ebenjener Aussage zeigen darüber hinaus, dass ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Bevölkerung ein ungesundes Maß an Selbstbewusstsein und Überheblichkeit an den Tag legt. Der ein oder andere fühlt sich scheinbar allein aufgrund einer anderen Religionszugehörigkeit besser – und ignoriert zugleich, wie massiv der eigene Lebensstil in diesem Land zu Lasten anderer Menschen auf diesem Planeten geht. Mir scheint es manchmal, als würden derartige Debatten nur zum Ziel haben von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.
„Die AfD ist der innere Schweinehund einer breiten Mehrheit.“
So hat es Bernd Ulrich von der ZEIT zuletzt formuliert und ich glaube er hat recht. Über zwei Jahre sind inzwischen vergangen, seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ – und Deutschland steht besser da als je zuvor. Das Land ist keineswegs kollabiert und der Arbeitsmarkt brummt. Vielleicht wollen genau das einige Menschen nicht wahrhaben und holen in Folge dessen wieder alte Ressentiments aus dem Köcher. Diese Entwicklung als Politiker aber zu antizipieren halte ich für fatal und undurchdacht, denn sie ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Mit markanten Worten durch die Medienlandschaft zu poltern um nachher festzustellen, dass dieses Thema die Menschen bewegt, das ist schäbig.
Doch anstatt sich einfach an die Arbeit zu machen und die zweifelsohne großen Herausforderungen der Zuwanderung von über 1 Mio. Menschen zu bewältigen, diskutieren wir lieber noch drei Runden weiter. Insofern erinnert all das in vielerlei Hinsicht an die Debatte vor einigen Jahren zur Frage: „Ist Deutschland ein Einwanderungsland?“ Diese sinnfreie Frage hat die politische Entscheidungsgewalt derart gelähmt, dass der Anschluss an Nationen wie Kanada verloren ging.
Wer nun wissen will, wohin diese mühselige Debatte im Zweifelfall führen kann, braucht sich nur die Reden der AfD im Deutschen Bundestag anzuhören.
Alexander Gauland rühmt sich damit, dass Angela Merkel zum ersten Mal seit langem wieder von„Deutschen“ in ihrer Regierungserklärung gesprochen hat und verzeichnet dieses Ereignis als Erfolg der AfD. Und er bescheinigt einem Volk grundsätzlich auch das Recht zu entscheiden, mit wem man zusammenleben will und mit wem nicht. Als junger Mensch, der in einem vereinigten Europa aufgewachsen ist, scheint mir dieser Satz wirklich außerirdisch. Gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt, die immer mehr auch Ortsunabhängigkeit ermöglicht, muss es zumindest innerhalb Europas möglich sein seinen Arbeitsort und somit auch den Lebensmittelpunkt frei wählen zu können. Für dieses kontinentale Integrationsprojekt beneidet uns die ganze Welt – und wir sollten es uns auf keinem Fall von einem alten verbitterten Mann wegnehmen lassen.
Es gibt keine Pflicht zur Vielfalt, so Alexander Gauland weiter. Das mag vielleicht sogar sein. Aber es gibt eine Pflicht zu Toleranz und Respekt.
> Picture is taken from stocksnap.io <