Nächsten Sonntag gilt es, die Landtagswahl steht an. Gerade deshalb aber scheint mir dieser Zeitpunkt überaus geeignet, um einmal in aller Grundsätzlichkeit zu skizzieren, was es brauchen könnte, damit sich dieses Bundesland auch zukünftig durch ein überdurchschnittliches Maß an Lebensqualität und ökonomischer Stärke auszeichnet. Es soll dabei aber gar nicht so sehr um konkrete politische Lösungen gehen — sondern vielmehr um eine gesellschaftliche Einstellung, die als progressive Triebfeder den politischen Entscheidungsträgern den Weg weist. Sechs Aspekte sind meiner Meinung nach dafür von zentraler Bedeutung.
1. Heimat ist mehr als ein christliches Symbol.
Der Kreuzerlass vor einigen Monaten war sicherlich eine der unglücklichsten kulturpolitischen Entscheidungen in jüngster Vergangenheit. Das damit verbundene Gerede einer kulturellen Identität von christlich-abendländischer Prägung mag historisch gesehen sogar seine Richtigkeit haben — für eine aufgeschlossene Gesellschaft im 21. Jahrhundert ist das aber nicht nur unnütz sondern auch destruktiv. Allein schon deshalb, weil die Definition eines adäquaten Gefühls von Heimat den Aktionsradius der Politik überschreitet und somit zu einer rhetorischen Scheinheiligkeit verkommt. Wo und wie man sich richtig heimisch fühlt, muss schlussendlich jeder für sich selbst beantworten. Ein ehrliches Gefühl von Akzeptanz, Geborgenheit und Solidarität ist dabei aber sicherlich nicht unwesentlich. Insofern wird es vor allem darum gehen, ein gesellschaftliches Klima wachsen zu lassen, das Ausgrenzung, Missgunst und Demütigung überwindet.
2. Technologischer Fortschritt geht jeden etwas an.
E-Mobility, Blockchain, Voice-User-Interface, usw. — neue technologische Trends durchdringen ganze Gesellschaften inzwischen mit einem atemberaubenden Tempo. Innovation wird zum alltäglichen Imperativ unseres Wirtschaftssystems. Das ist, zugegebenermaßen, nicht immer leicht und oftmals sehr herausfordernd. Außer Frage steht aber, dass sich damit für bestehende Strukturen sowohl die Risiken als auch die Chancen erhöhen. Für Bayern als wirtschaftliche Vorzeigeregion der Republik gilt ebenjenes natürlich ganz genauso. Politik alleine kann allerdings nur Rahmenbedingungen schaffen, um diese Entwicklungen erfolgreich zu antizipieren — vielmehr noch wird es deshalb davon abhängen, wie technologieoffen und wie ambitioniert wir als Gesellschaft in die Zukunft blicken. ’Laptop und Lederhose’ muss in diesen Tagen mehr sein als Social-Apps auf einem iPhone zu bedienen.
3. Ökologische Nachhaltigkeit ist in der Mitte angekommen.
Wer nicht ausschließlich mit Scheuklappen durch die Welt läuft, dem dürfte auffallen, dass wir als Gesellschaft in vielerlei Hinsicht extrem umweltfeindlich agieren. Und wenn man in aller Ruhe darüber nachdenkt, dann wird schnell klar, dass es so nicht ewig weitergehen kann. Die industrielle Landwirtschaft ist ein auf maximale Effizienz gezüchtetes (und auch höchst unmoralisches) System, das jegliche Folgeschäden ignoriert. Innovative und bezahlbare Mobilitätslösungen, auch und vor allem in Städten, sind kaum absehbar — viel zu oft noch wird um das Auto als unverzichtbarer Bestandteil herumgedacht. Und auch ganz grundsätzlich braucht eine Gesellschaft, die von digitalen Kommunikationstechnologien nicht ausgelaugt werden will und Sport bzw. Bewegung als erfrischenden Lebensaspekt wahrnimmt, adäquate Berührungspunkte mit der Natur. Insofern muss der verträgliche Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen eine zentrale Anforderung sein, an der sich Politik, Wirtschaft und auch jeder Einzelne nach bestem Wissen und Gewissen ausrichten. Die bayerischen Naturlandschaften sind zweifelsohne ein Segen für dieses Bundesland, vielleicht aber auch mehr als das: eine ständige Erinnerung an die Notwendigkeit eines ressourcenschonenden Lebensstils.
4. Tradition ist kein Wert an sich.
Wenn man Menschen aus fernen Ländern fragt, was sie mit Deutschland verbinden, so antworten nicht wenige äußerst intuitiv mit ’Beer & Octoberfest’. Gewisse Traditionen können, wie sich daran exemplarisch zeigt, eine überaus positive Strahlkraft entwickeln. Mit Abstrichen gilt das sicherlich auch für die Biergärten-Mentalität, den (nicht immer leicht zu verstehenden) Dialekt und die kulinarischen Spezialitäten dieses Bundeslandes. Gemeinsam aber ist all jenen Dinge: sie machen Spaß und bringen Menschen zusammen. Insofern soll Tradition durchaus identitätsstiftend sein. Daraus aber einen Vorwand abzuleiten, um Dinge aus der Vergangenheit zwanghaft beim Alten zu lassen, ist Blödsinn. Gesellschaftliche Werte und Ideale verändern sich von Zeit zu Zeit, dieser Entwicklung kann man sich nicht entziehen. Weder die Alleinherrschaft einer Partei, noch der sonntägliche Gottesdienstbesuch — und schon gar nicht ein eindimensionales Familienbild oder ein gelegentlich skeptisches Verhalten gegenüber ’Zuagroasten’ sind in Stein gemeißelt. Ein vernünftiges Traditionsbewusstsein antizipiert deshalb den Zeitgeist und vermeidet ideolgische Grabenkämpfe.
5. ’Mia San Mia’ ist Ausdruck eines gesunden Selbstbewusstseins.
Der FC Bayern München repräsentiert wie kaum eine andere Organisation die Erfolgsgeschichte und Leistungsstärke dieses Bundeslandes. Der Vereinsslogan Mia San Mia beschreibt deshalb auch über treue Anhänger hinaus das Lebensgefühl so einiger Menschen im Freistaat. Das ist per se weder gut noch schlecht. Zu oft aber scheint mir die Bedeutung dieses Ausdrucks noch mit einem Wesenzug à la Uli Hoeneß verbunden, der doch gelegentlich zur selbstherrlichen Egozentrik neigt. Ein zeitgemäßes Anspruchsdenken kann darauf aber getrost verzichten — und es bleibt zu hoffen, dass dieser Schalter auch bei der CSU spätestens nach dieser Wahl gefallen ist. Es geht nicht ständig darum zu betonen, wie gut man selbst ist und noch viel weniger darum zu erklären, wie schlecht die anderen sind. Dinge einfach besser zu machen und dennoch maximal respektvoll gegenüber anderen zu bleiben, daraus kann ein gesundes Selbstbewusstsein entstehen. Mia san Mia muss deshalb im gesellschaftlichen Sinn das sein, was Jim Collins schon 2001 als Level-5 Leadership definiert hat: a paradoxial combination of humility plus professional will.
6. Liberalitas Bavariae — leben und leben lassen.
’Ja mei, schau’n mer mal’ — dieser Ausspruch, der wie kein anderer Wurstigkeit und Frohsinn zugleich vereint, bringt viel von dem auf den Punkt, für was Bayern stehen sollte. Eine liberale Demokratie braucht den maximalen Freiraum zur persönlichen Entfaltung jedes Einzelnen. Und das erfordert ein inklusives Zusammenleben in zweierlei Hinsicht: sowohl eine unvoreingenommene Haltung gegenüber der wachsenden Ausdifferenzierung in unserer Gesellschaft, als auch ein einladendes Entgegenkommen zur Aufrechterhaltung eines bestärkenden Gemeinschaftsgefühls. Beides kann außerordentlich gut gelingen, die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise sind dafür die besten Beweisstücke. Ein zeitgemäßer Ausdruck einer, wenn man so will, typisch bayerischen Attitüde muss deshalb auch Ausdruck von Zuversicht, Herzlichkeit und Gelassenheit sein. Denn gerade in Zeiten radikaler Umbrüche, wie wir sie aktuell erleben, scheint ein solch unsichtbares Band an gemeinsamer Lebenseinstellung notwendiger denn je um als Fortschritts- und Integrationsmotor den Weg in eine bessere Zukunft zu ebnen. Oder um es in den Worten von Georg Lohmeier zu sagen: ’Das Bayerische ist eine Denkweise. Ein guter Bayer kann von überall her sein.’
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