Es wird viel geschrieben über den Mann mit der deutschen Rückennummer 8, nachdem er den erlösenden Treffer im Spiel gegen Schweden bei dieser Weltmeisterschaft geschossen und das Tor zum Achtelfinale ganz weit aufgestoßen hat. Seine überragende Wichtigkeit für die deutsche Nationalmannschaft geht aber weit über dieses Tor hinaus wie ich finde.
Das erste Spiel gegen Mexiko war kein gutes, dabei gibt es nichts zu beschönigen — auch Toni Kroos hatte nicht seinen besten Tag erwischt. Das kann passieren, wichtig ist eben nur: Mund abputzen, weitermachen. Große Mannschaften darf so etwas nicht zurückwerfen, vielmehr noch: sie können aus solchen Druckmomenten (wie es gestern vor dem Spiel offensichtlich der Fall war) zusätzliche Motivation und Antrieb entwickeln. Insofern war so einiges an Berichterstattung im Vorfeld dieser Partie blödsinniger Kladderadatsch, denn eine Sache stand völlig außer Frage: wenn Deutschland auch nur annährend sein Leistungsvermögen auf den Platz bringt, wird ein Sieg sehr wahrscheinlich sein. Diese Herausforderung war deshalb in erster Linie eine mentale.
In solchen Momenten kommt es dann ganz besonders auf die Führungsspieler eines Teams an. Seit der letzten WM aber hat sich in dieser Hinsicht einiges verschoben, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sind nicht mehr an Bord. Mit Manuel Neuer, Jerome Boateng und Mats Hummels verfügt der Kader nach wie vor über enorme Persönlichkeiten, sie alle aber sind Teil des Defensivverbundes und können ein Spiel nur bedingt an sich reißen und im Zweifelsfall auch drehen. Umso mehr kommt es deshalb vor allem auf einen Mann aus dem defensiven Mittelfeld an, der als Weltmeister und viermaliger Champions-League Sieger sein fußballerisches Geschick keinem mehr beweisen muss: Toni Kroos. Seine Rolle aber als zentraler Taktgeber im deutschen Spiel, der mit Erfahrung und Können eine Partie an sich reißen und in wichtigen Momenten auch entscheiden kann, ist wichtiger als je zuvor — dass er diesem Anspruch gerecht wird, hat Toni Kroos gestern eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Für den weiteren Erfolg der deutschen Nationalmannschaft bei diesem Turnier ist er deshalb unverzichtbar wie kein anderer.
Der Mann aus Greifwald hat brillante Spielanlagen, seine Passquoten sprechen zumeist eine eindeutige Sprache. Besonders auffällig wirkt sein Spielstil allerdings nur selten. In München wurde er auch deshalb von den Biertischkritikern hinter vorgehaltener Hand als Querpass-Toni bezeichnet und schlussendlich, so muss man es im Rückblick zweifelsohne sagen, für 30 Millionen an Real Madrid verschachert. Dort, im glamourösesten und wohl auch unruhigsten Klub der Welt, ist er seit vier Jahren unumstrittener Stammspieler im defensiven Mittelfeld — und wird es wohl auch noch für einige Jahre bleiben. Ohne ein überdurchschnittliches Maß an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein wäre das schlichtweg nicht möglich. Aber genau diese Dinge machen in entscheidenden Momenten den Unterschied, wie das Spiel gestern wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.
Außer Frage, das erste Gegentor ist zu einem nicht unwesentlichen Teil von Toni Kroos verschuldet. Bis dahin hat die deutsche Mannschaft ein solides Spiel gezeigt, der durchschlagende Erfolg hat aber auf sich warten lassen. Und ich jedenfalls vermochte auch den unbedingten Willen, den es in solchen Situationen mehr als andere braucht, noch nicht so ganz verspüren. Insofern war das Gegentor vermutlich ein notwendiger Impulsgeber zum richtigen Zeitpunkt — spätestens ab dann war jedem Beteiligten klar, dass es nur noch ein Gas gibt, nämlich Vollgas.
Und auch nach 45 Minuten war klar, dass mit einer deutlichen Leistungssteigerung im zweiten Durchgang noch alles möglich ist, die individuelle Klasse der deutschen Mannschaft war und ist dafür der schwedischen zu sehr überlegen. Insofern war vor allem der Glaube an das eigene Leistungsvermögen und die innere Überzeugung vom bevorstehenden Erfolg von entscheidender Bedeutung. Hört man sich die Interviews von Toni Kroos im Nachgang des Spiels an, so steht außer Frage, dass gerade er diese Einstellung wie kein anderer verkörpert hat. Sein entscheidender Siegtreffer in der Nachspielzeit mag auf den ersten Blick vielleicht etwas glücklich ausgesehen haben — schlussendlich aber ist er die folgerichtige Konsequenz einer Vielzahl an Annäherungsversuchen zu diesem Moment.
Wer nach diesem furchtbaren Fehler in der ersten Halbzeit keinen Zentimeter von seinem Spielstil abweicht, wer in der zweiten Halbzeit als unermüdlicher Impulsgeber das deutsche Spiel ein ums andere Mal in die gegnerische Hälfte trägt, wer auch nach dem Pfostenschuss in der 90. Minute sich nicht verunsichern lässt und wer es sich zutraut in der fünften Minute der Nachspielzeit aus spitzen Winkel direkt aufs Tor zu schießen — der macht dann auch solche Tore. Dafür gibt es im Prinzip nur einen Ausdruck: weltklasse.
Wie der Spiegel zuletzt schilderte, antworte Toni Kroos auf die Frage nach dem stärksten Rivalen bei dieser WM nach einer kurzen Pause mit: “Wir selbst.” Wer so spricht und so spielt, der kann Deutschland auch zur Titelverteidigung führen.
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