Jens Spahn hat vor einigen Tagen eine Debatte losgetreten, die meiner Meinung nach längst überfällig ist. „Hartz IV bedeutet nicht Armut.“ – so der aktuelle Gesundheitsminister. Es geht also um nichts weniger als Interpretationshoheit unseres sozialstaatlichen Models. Menschen, die in Deutschland keine Arbeit finden, werden nicht allein gelassen. Der Staat verspricht jedem Bürger ein menschenwürdiges Existenzminimum. Wie viel das ist, kann man im Internet ganz einfach nachrechnen – in der Regel 416€ plus Miete.
Das sind pro Woche in etwa 104€ und pro Tag knapp 15€. Die menschlichen Grundbedürfnisse also, allen voran Essen und Trinken, lassen sich davon grundsätzlich abdecken. Allerdings wird es hier schon kompliziert, denn: was ist Ernährung eigentlich – satt werden oder gesund leben? Und dementsprechend ergeben sich auch unterschiedliche Bemessungsgrundlagen. Ich schreibe aktuell an meiner Masterarbeit und verbringe gelegentlich den ganzen Tag zu Hause. Mein aktueller Ernährungsstil, den ich als as-vegan-as-possible beschreiben würde, kostet mich bei drei vernünftigen (selbst zubereiteten) Mahlzeiten sicherlich 5-7 Euro pro Tag. Damit sieht die Sache schon ein wenig anders aus. Ich mache das aber natürlich nicht nur zum Spaß, sondern weil ich glaube, dass es gesünder ist und weniger gesellschaftliche Opportunitätskosten verursacht.
Insofern schließt ein menschenwürdiges Existenzminimum für mich jedenfalls auch die Möglichkeit ein, auf sich selbst und seine Umwelt achten zu können.
Richtig prekär aber wird die Sache im Falle eines alleinerziehenden Elternteils – für ein minderjähriges Kind stehen dann monatlich zusätzlich 152€ zu Verfügung, ca. 5€ pro Tag. Wie bei einem solchen Rahmen bspw. der von einer Schule veranstaltete Skikurs finanziert werden soll, ist für mich jedenfalls nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Und damit stellt sich auch schon die nächste Frage: welches Maß an sozialer Teilhabe schließt der Begriff menschenwürdiges Existenzminimum eigentlich ein? Bedeutet es nur das Abdecken von Sicherheitsbedürfnissen oder auch von sozialen Bedürfnissen? Eine zweifelsohne wichtige Frage, die in abgeänderter Form auch in einer ganz anderen Sache zunehmend wichtiger wird: Leben wir um zu arbeiten, oder arbeiten wir um zu leben? Ich persönlich jedenfalls bin von Ersterem überzeugt. Auch deshalb wird es für Unternehmen wohl immer wichtiger, mehr Zugeständnisse in Fragen der Work-Life-Balance zu machen. Denn immer mehr Menschen wird klar, dass es schlussendlich darum geht sein persönliches Glück zu finden. Kein Mensch wird dafür in Erinnerung bleiben, weil er richtig viele Überstunden geschoben hat. Schon eher aber für Hilfsbereitschaft oder eine starke menschliche Ader.
Die Bedeutung sozialer Interaktionen ist für das persönliche Wohlbefinden alles andere als unerheblich – wer davon nicht überzeugt ist, braucht nur einmal für eine Woche das Haus nicht zu verlassen. Und ohne persönliches Wohlbefinden, kein persönliches Wachstum, keine persönliche Inspiration, keine persönliche Motivation – dabei wäre es wohl genau das, was Menschen in einer Situation der Arbeitslosigkeit am Notwendigsten haben. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist das eine, der Verlust einer Beschäftigung das andere.
Gerade deshalb hat Armut für mich nicht nur eine existenzerhaltende Dimension, sondern auch eine soziale.
Ich bin mir deshalb wirklich überhaupt nicht sicher, ob sich unsere Gesellschaft einen Gefallen damit tut, die Ärmsten der Armen von der sozialen Teilhabe fernzuhalten. Denn Ziel muss es doch eigentlich sein, dass diese Menschen möglichst schnell wieder aus dieser Situation herauskommen, und nicht herauszufinden, mit wie viel Geld man gerade so über die Runden kommen kann. Insofern ist aus meiner Perspektive der Hartz IV-Regelsatz kein menschenwürdiges Existenzminimum, allein schon deshalb, weil ich mir mindestens 1x pro Monat auch noch ein neues Buch kaufe. Und Weiterbildung gehört für mich einfach zur Lebensgrundlage.
Damit aber sind wir auch schon bei einem kritischen Punkt dieser Debatte und bei der Frage, ob mehr Geld die oben genannten Herausforderung wirklich zielführend lösen würden. Auch da bin ich mir nicht gänzlich sicher, gerade weil, der Umgang mit Geld ebenso gelernt sein will. Und grundsätzlich muss man dazu sagen, dass der Arbeitsmarkt aktuell keine schlechte Zeit durchlebt und Arbeitskräfte durchaus gesucht werden.
Und im Gegensatz zu vor 15 Jahren ist es heutzutage ein Leichtes, sich persönlich fort- und auszubilden. Laptop an und los geht’s.
Das Internet machts möglich – YouTube, Podcasts, soziale Netzwerke und vieles mehr. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Und trotzdem – so jedenfalls meine Annahme – scheitert die Integration in den Arbeitsmarkt doch zumeist an fehlender Qualifikation. Die finanziellen Ressourcen sind in dieser Frage also nicht alles entscheidend, vielmehr glaube ich ist es eine Frage der persönlichen Einstellung. Die aber, kann man mit Geld nicht ändern. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass Arbeitslose überwiegend faul oder sonst irgendetwas sind.
Aber ich glaube, dass vielen Menschen die Vorstellungskraft und das Selbstvertrauen dafür fehlt, sich aus dieser Situation durch eigenes Zutun wieder befreien zu können.
Es ist nur menschlich, in solchen Momenten den Glauben an sich selbst zu verlieren – und dennoch ist es ein großes Problem. Schlussendlich stellen sich deshalb zwei Fragen: woher kommt das und wie lässt sich das lösen? Die erste Frage ist meines Erachtens nach nicht besonders schwer zu erklären – es liegt an unserem (Aus-)Bildungssystem und daran, wie wir mit sozial Schwächeren umgehen. Nur die wenigsten jungen Menschen verlassen die Schule mit dem Gefühl, jetzt die Welt verändern zu können. Vielmehr sind sie sich nun endgültig bewusst, was sie nicht können. Und auch in den meisten Betrieben wird noch Dienst nach Vorschrift besser honoriert als ständig den Status Quo in Frage zu stellen. Das prägt Menschen und das prägt eine Gesellschaft – vor allem insofern, als das Querdenkertum verloren geht.
Als Gesellschaft müssen wir deshalb anfangen radikal umzudenken um Lösungen und Wege zu finden, wie wir auch beschäftigungslose Menschen wieder dazu bringen können, sich ihrer eigenen Fähigkeiten und Stärken wieder bewusst zu werden. Dazu kommt in dieser Sache noch eine weitere Herausforderung, die fast noch komplizierter ist. Ich glaube auch, ein menschenwürdiges Existenzminimum muss fördern und fordern. Insofern sollte ein wirkungsvoller Anreiz gegeben sein, sobald wie möglich wieder in ein Beschäftigungsverhältnis einzusteigen. Aber das muss sich – im wahrsten Sinne des Wortes – auch auszahlen. Das allerdings ist nicht immer Fall.
Deshalb ist das geringe Lohnniveau in Deutschland, vor allem der große Niedriglohnsektor, ein mindestens genauso großes Problem. Der Hund beißt sich also in den Schwanz.
Vielleicht ist es wirklich an der Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ich werde mir die Sache mal in Ruhe überlegen.
> Picture is taken from stocksnap.io <