“Es geht zunehmend um das, was zwischen unseren Ohren stattfindet.”

Jacob Drachenberg ist Trainer und Speaker für “gesunde Stressbewältigung”. In diesem Rahmen hilft er Menschen und Organisationen dabei, bewusster und erfolgreicher durch den Alltag zu kommen. Im Interview sprechen wir über die Bedeutung von mentaler Fitness, sein soziales Engagement und welche gesellschaftlichen Strömungen unser Zusammenleben bald verändern könnten.

Jacob, schön dass du mit dabei bist. Wir starten direkt mit der ersten Frage. Was treibt dich an? Woher nimmst du die ganze Energie für dein Projekt?

Sehr gerne. Auch ich freue mich, dass ich dabei sein kann. Im Wesentlichen sind das bei mir zwei Energieströme. Zum einen will ich gerne die Person sein, die mir selbst vor vielen Jahren hätte helfen können. Ein Mensch der sich diesem Thema „Stressbewältigung“ angenommen hat und dir sagen kann: „Alles easy. Ich kann dir Wege zeigen, wie du die Sache besser in den Griff bekommst.“ In den letzten Jahren haben wir speziell bei Fitness und Ernährung das Entstehen einflussreicher Role-Models gesehen – und mir macht es einfach unglaublich viel Spaß anderen Menschen, die mit dem Thema „Stress“ struggeln, meine besten Strategien und meine ganze Motivation mitzugeben.

Daneben wird natürlich schon jetzt unglaublich viel über Themen wie Stressbewältigung, Erwartung, Anspannung, etc. gesprochen. Mein zweiter Energiestrom ist es deshalb, dem Ganzen aus einer fundierten Perspektive noch mehr gesellschaftlichen Raum zu geben und Reichweite aufbauen – durch Social Media, Podcasts, Workshops, Vorträge und vieles mehr. Dabei treffe ich dann immer wieder Menschen die sagen: „Hätte mir das mal jemand vor 20 Jahren erklärt.“ Das ist geil. Dafür liebe ich die moderne Zeit, dass ich meine Message und meine Mission skalieren kann.

Und ich persönlich glaube, dass nach Ernährung und Fitness jetzt die nächste Bewegung kommt, die sich vor allem damit befasst was zwischen unseren Ohren stattfindet. Es geht im Prinzip immer weiter nach oben in der Bedürfnispyramide. Und die Schnittmenge aus alledem ist eben: es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, man kann auch solche Sachen lernen. Menschen können sich austauschen, Dinge in einer Community lösen und voneinander profitieren – diese Entwicklung aktiv mitzugestalten, das ist superspannend.

Absolut. Ich persönliche habe oft das Gefühl, die Welt dreht sich gerade immer schneller. In Anbetracht dessen: wo steht das Thema „gesunde Stressbewältigung“ aktuell und was kommt da noch?

Das Thema steht noch ganz am Anfang. Weil Umgang mit Stress bedeutet Umgang mit Unsicherheit. Und Unsicherheit kommt auch daher, dass die Innovationszyklen kürzer werden und die Welt sich durch das Internet schneller dreht. Insofern ist gesunde Stresskompetenz sicherlich eine Schlüsselkompetenz, um in einer modernen Welt mitzuhalten und sich auch fit dafür zu machen.

Wenn man sich nur ansieht, wie viele Nachrichten inzwischen auf jeden von uns tagtäglich einprasseln – die Schnelligkeit und die Unsicherheit im Alltag nimmt rasant zu. Das ist auf der einen Seite natürlich eine große Chance, auf der anderen Seite ist aber der gesunde Umgang mit Druck auch mega wichtig. Und die Reize, die wir uns geben, werden immer krasser, vor allem durch neue Technologien. Dazu kommt dann noch das Thema „Multioptionsgesellschaft“. Potentiell steht uns die ganze Welt offen. Das ist natürlich ebenso eine Medaille mit zwei Seiten, denn viele Optionen zu haben kann auch viel Stress bedeuten.

Bleiben wir kurz noch beim Thema „Unsicherheit“. Wird unser Umfeld wirklich so viel unsicherer, wie es oft dargestellt wird? Oder ist das manchmal auch nur eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Ich glaube es ist echt unterschiedlich und hängt davon ab, wie wir sozialisiert sind. Auf der einen Seite ändert sich viel, auf der anderen Seite bleibt aber auch viel gleich. Es wird auch in drei/vier Jahren noch gesellschaftlichen Zusammenhalt und 80% der Unternehmen geben, die wir heute kennen. Und ein Stück weit lebt dabei natürlich jeder auch in seiner eigenen Blase. Manchmal kann man sich aber auch die Frage stellen, ob diese Unsicherheit nicht von manchen Seiten auch gewollt sein könnte. Solange Menschen sich unsicher fühlen, sind sie eher passiv und stellen eher selten grundsätzliche Systemfragen, weil das noch mehr Risiko bedeuten würde. Aber die Frage – cui bono? – also wer profitiert davon, muss erlaubt sein. Die Presse beispielsweise verdient mit Unsicherheit oft gutes Geld.

Du hast gerade eben selbst von einer Blase gesprochen, in der wir uns oft befinden. Die damit verbundenen Probleme werden aktuell häufig diskutiert. Wie stehts du dazu?

Also ich meine mit Blase vor allem auch ein Umfeld von Menschen mit der gleichen Einstellung, bspw. welche die motiviert, energiegeladen, proaktiv und gut unterwegs sind. Für Menschen, in deren Blase das nicht vorherrscht, wird es dann ein Problem, wenn sie da nicht mehr richtig rauskommen. Weil dann gesellschaftliche Schichten entstehen, zwischen denen kein Austausch stattfindet. Weil der „Aufstieg“ davon abhängt, ob die Eltern studiert haben oder nicht.

Also das ganze Thema soziale Mobilität und das sehe ich durchaus als Problem. Deshalb bin ich auch seit Jahren bei dem Verein „Rock Your Life“ engagiert. Dabei werden Hauptschüler in der 9./10. Klasse durch Mentoren unterstützt, auch Studierende. Somit kommen da zwei ganz verschiedene Backgrounds zusammen. Ich habe das selbst auch gemacht und war zwei Jahre lang Mentor. Das war eine super lehrreiche Erfahrung.

Du bist jetzt aktuell noch relativ jung, dein Publikum ist in der Regel älter als du. Eine nicht ganz übliche Konstellation. Wie reagieren die meisten Menschen darauf?

Also das kommt natürlich auch stark darauf an, in welchen Kontexten ich unterwegs bin. Aber die Resonanz ist grundsätzlich immer super positiv. Auch deshalb, weil es mir nicht darum geht, dass ich den Leuten irgendwelche Strategien zeige, die ich auswendig gelernt habe, die ich dann weitergebe und 1:1 angewandt werden müssen.  Sondern ich versuche ja vielmehr den Leuten Energie und Begeisterung mitzugeben – und da haben die meisten absolut Bock drauf. Viele geben dann auch ganz offen zu, dass sie sich mit dem Thema schon länger auseinandersetzen wollten, aber es oft verpasst haben, weil sie im Alltag gefangen waren. Insofern sehen es gerade bei Workshops oder Vorträgen auch Viele als Chance, einen neuen Impuls mitzunehmen.

Und ansonsten kommt bei mir auch grundsätzlich wenig Kritik an, aber das liegt wohl in der Natur der Sache. Menschen die denken: „Was will der Typ von mir?“, die konsumieren meine Inhalte dann einfach nicht mehr. Aber grundsätzlich, wenn der Großteil erstmal merkt, dass eigentlich jeder schon spannende Erfahrungen gemacht hat und es großartige Möglichkeiten gibt voneinander zu lernen, dann breitet sich diese Schwarmintelligenz oft ganz schnell im Raum aus.

Nach dem Studium bist du direkt in die Selbstständigkeit gegangen. Was waren dabei deine größten Learnings, was hat dir am meisten geholfen?

Lean-Startup, definitiv. Vor allem im Sinne von Prototypen bilden, Prozesse so schlank wie möglich zu halten und so schnell wie möglich mit der Idee rauszugehen um Kundenfeedback einzuholen. Das ist auf jeden Fall mein Nr. 1 Tipp um in die Proaktivität zu kommen und Entscheidungen in einem Umfeld von hoher Unsicherheit zu treffen. Vor drei Jahren habe ich das genauso gemacht – ich war kurz vor Ende meines Studiums und habe einfach alle meine Freunde zu einem kurzen Workshop eingeladen, wo ich 3h über gesunde Stressbewältigung geredet habe. Und vor dem Hintergrund leben wir ja in göttlichen Zeiten. Da baut man schnell eine Landing-Page, schießt ein bisschen Traffic drauf und schaut wie die Leute darauf reagieren – und schon ist die Idee getestet.

Wir haben jetzt viel über das Thema „Mentale Fitness“ gesprochen. Siehst du daneben auch noch andere gesellschaftliche Strömungen, die aktuell an Bedeutung gewinnen?

Also grundsätzlich sicherlich das Thema „Generation Y“, verbunden mit dem Streben danach etwas Sinnhaftes zu machen. Daneben glaube ich noch, dass sich in vielen Bereichen zunehmend die Macht immer mehr vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer verschiebt. Unternehmen brauchen Talente, und dann sagen die Talente eben: „Ich hätte gerne flexible Arbeitszeiten, ich hätte gerne zwei Tage Home-Office, etc.“ Da stellt sich dann ganz schnell die Frage, wer eigentlich von wem abhängig ist.

Und generell natürlich noch das Thema persönliche Weiterentwicklung. Immer mehr Menschen stellen fest, was das für ein Return on Investment bringt und auch wie gefragt ganz unterschiedliche Skills sein können, wenn sich jemand in eine Sache wirklich reingefuchst hat. Ein Stück weit ist das dann natürlich verbunden mit dem Thema „sich nicht binden wollen“, immer mehr Sachen werden on-demand sein. Das gilt natürlich schon für Produkte und Dienstleistungen, aber vielleicht eben zunehmend auch für verschiedene Dinge des persönlichen Lebens, wie den Job beispielsweise.

Vor diesem Hintergrund: welchen Stellenwert hat dann überhaupt noch eine konsequente Karriereplanung und welche Bedeutung haben hingegen individuelle Kernkompetenzen?

Also ich glaube schon, dass es Sinn macht, Fähigkeiten zu finden, die einem richtig Spaß machen, worin man seine Zeit verlieren kann. Und ich glaube auch, dass die Welt Spezialisten braucht. Aber neben alledem sollte man natürlich die Bedeutung von „Politik“, gerade in großen Unternehmen, und Netzwerken auf keinen Fall unterschätzen. Damit meine ich vor allem, Beziehungen zu Menschen aufzubauen und zu pflegen – manchmal bekommt man den Eindruck, viele vergessen das.

Und natürlich wird es auch darauf ankommen, eigene Trends zu setzen. Das ist, wenn man mal ehrlich ist, ja leichter als je zuvor. Ich bin der Überzeugung, dass durch gutes Content-Marketing wirklich viel möglich ist, sehr viel sogar. Da spielt es fast gar keine Rolle, was draußen passiert. Und natürlich ist es ein enormer Benefit mit etablierten Menschen Zeit zu verbringen, die in ihrem Leben schon großartiges erreicht haben und von denen man lernen kann.

Das ist dann ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für meine nächste Frage, die ich mal so formulieren will: wie rückständig ist unser Bildungssystem vor diesem Hintergrund?

Im Prinzip wissen ja eigentlich alle, dass unsere aktuelle Bildung noch aus dem preußischen System kommt und dass es mit der heutigen Welt nichts mehr zu tun hat. Denn Bildung bedeutet ja in erster Linie: lernen um zu lernen. Aber irgendwann hat man das auch gelernt, vielleicht in der 7./8. Klasse – und dann kann man übergehen ins Ausprobieren und ins Erfahren. Ins Scheitern, ins Prozesse implementieren und vor allem wegkommen vom Auswendiglernen, weil das brauchen wir eigentlich nicht mehr. Und das ist auch der springende Punkt, denn wahrscheinlich werden immer mehr Kinder und Jugendliche relativ schnell merken, dass sie mit eigenem Content und eigenen Projekten schneller vorankommen können.

Die Talente, die rausgehen, haben einfach alle Möglichkeiten selbstständig, ortsunabhängig und digital durchs Leben zu gehen. Die werden sagen: warum muss ich mich hier 30h in der Woche hinsetzen und irgendetwas auswendig lernen, obwohl da draußen das Leben tobt. Und ich persönlich denke mir vor allem, was ich mit der Zeit hätte machen können, die ich aufgebracht habe um Sachen zu lernen, die ich nie wieder brauche. Und damit meine ich nicht nur Inhalte, sondern auch Soft-Skills wie Selbstmanagement oder Leadership. Vor diesem Hintergrund hat mir meine Zeit als Wasserball-Leistungssportler sicherlich mehr gebracht als Uni oder Schule.

Letzte Frage. Du wohnst nun schon seit einiger Zeit in Berlin. Wie nimmst du das Umfeld und die Entwicklung der Stadt war, speziell natürlich als Startup-Metropole?

Ich kann natürlich jetzt nur aus meiner Perspektive sprechen, aber das geht inzwischen schon gut ab. Du brauchst Motivation und Begeisterung, dann kannst du es oft schon weit bringen. Der Abschluss ist da oft gar nicht so wichtig. Man hat einfach schnell die Chance in coolen und sehr agilen Teams unterwegs zu sein. Wenn auch nicht besonders lukrativ von Anfang an, aber dafür lernt man dann auch schnell die Skills, die das Unternehmen braucht und kommt mit der richtigen Zielgruppe in Berührung. Wenn es dann gut läuft bist du nach einem Jahr schon „Head of XY“ mit einem kleinen Team, weil du am Anfang schnell da warst. Und dann kann man die Dynamik natürlich ganz anders ausnutzen, da ist dann wirklich viel möglich. Vor allem weil du a) die richtigen Leute kennst, b) mit smarten Gründern richtig innovativ unterwegs und c) auch gut mitwachsen kannst mit dem Team. Dazu kommt dazu dann natürlich noch, dass die Startup-Szene auch super connected ist. Wenn es gut läuft, ist der nächste Job dann auch nur ein paar E-Mails weit entfernt.

Jacob, vielen Dank für das tolle Gespräch.


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