Der Bedeutungsverlust des Journalismus in seiner heutigen Form.

Der gesellschaftliche Meinungsbildungsprozess hat sich zuletzt stark verändert und etablierte Medien vor grundlegende Herausforderungen gestellt. Ein Plädoyer, um Journalismus ebenso grundlegend neu zu denken.

Unsere Demokratie fußt bekanntermaßen auf einer dreiartigen Gewaltenteilung – Exekutive, Legislative und Judikative. Inoffiziell aber wird oft auch noch von einer vierten Gewalt im Staat gesprochen, der publikativen Gewalt – oder kurz gesagt: den Medien.

Im Grundsatz ist das durchaus richtig, der Einfluss großer Medienhäuser auf den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess ist nicht unwesentlich. In den letzten Jahren allerdings ist dabei etwas ins Rutschen geraten, es hat ein schleichender Entkopplungsprozess zwischen Leserschaft und Redaktion eingesetzt. An dieser Stelle soll es auch gar nicht um kategorische Medienverweigerer gehen, die sich nur noch hinter dem Begriff der “Lügenpresse” verschanzen. Sondern um durchschnittlich interessierte Menschen, die spüren, dass viele Medienangebote in dieser turbulenten Welt nicht mehr genügend Orientierung geben. Die Frage ist aber: warum?

Im Kern ist der Mehrwert von gutem Journalismus vor allem eine kluge Selektion und verständliche Aufbereitung von Inhalten.

Ich persönlich betrachte Journalismus deshalb als gesellschaftlichen Filter und Verdichter, der sich aus Lesersicht vor allem an zwei kritischen Komponenten ausrichten muss: Zeit und Qualität.

Nun ist hinlänglich bekannt, dass unser Lebensalltag zuletzt massiv kleinteiliger geworden ist, allen voran durch Smartphones. Viele Medienhäuser haben diese Entwicklung erkannt und antizipiert, in erster Linie durch kostenlosen Web-Content. Dieser ‘Fortschritt‘ einer immer weitergehenden Zerstückelung unseres Arbeitsalltags ist zweifelsohne nicht nur positiv, viele Menschen bemerken das inzwischen – Stichwort: digitale Erschöpfung. Nicht wenige Online-Nachrichtendienste hingegen arbeiten genau dem entgegengesetzt. Der Leser soll möglichst oft neuen Content zu sehen bekommen, damit die Seite möglichst oft wiederbesucht wird. Oder anders ausgedrückt: Quantität vor Qualität also. Wohin das führt, wird vielen erst am Ende vom Tag klar, wenn wieder nicht genügend Zeit für andere Aktivitäten war. Und die Folgen davon sind mittelfristig absehbar: Death by Content.

Denn der interessierte Bürger steht in erster Linie vor zwei wesentlichen Fragen: Was ist wirklich wichtig? Und wie schaffe ich es, komplexe Zusammenhänge möglichst gut zu verstehen?

Dieser elementaren Frage nach dem ultimativen Kundennutzen des eigenen Produkts scheinen sich allerdings nicht alle Online-Redaktionen zu stellen – so jedenfalls mein Eindruck. Oft genug gibt es dagegen vor allem eines: Content-Flut, zumeist in Form von kompakten Beiträgen. Gerade in den Tagen rund um die Koalitionsverhandlungen war offensichtlich, dass viele Inhalte beileibe nicht immer qualitativ selektiert und konstruktiv eingeordnet werden.

Insofern könnte der Mehrwert eines Nachrichtenportals in Zukunft nicht mehr nur davon abhängen, welche Nachrichten veröffentlicht werden – sondern verstärkt auch, welche nicht veröffentlicht werden.

Aus dieser Logik heraus wären wohl auch Formate denkbar, die nicht nur werbefinanziert und somit auf Klickzahloptimierung angewiesen sind. Wenn ‘Zeit‘ wirklich die wertvollste Ressource vieler Menschen heutzutage ist, wird es für zeitsparende Produkte oder Dienstleistungen mit Sicherheit auch zahlungsbereite Menschen geben.

Daneben aber steht noch eine weitere Herausforderung des Journalismus – nämlich die Tatsache, dass inzwischen eigentlich wirklich jeder publizieren und Reichweite erzielen kann. Im Gegensatz zu früher, als Zeitungen das einzige Medium zur Meinungsbildung waren, entfällt dieser entscheidende Vorteil für etablierte Medienhäuser – stark bedingt natürlich durch die technologischen Möglichkeiten des Internets, allen voran Social Media.

Dieses Rad der Zeit wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist das sicherlich Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite wird die Meinungsbildung individueller und ermöglicht dem Leser eine zunehmend personalisierbare Informationsversorgung. Auf der anderen Seite führt das unweigerlich zu meinungsseitigen Blasenbildungen, weil viele Menschen dazu neigen sich mit Informationen zu umgeben, die ins eigene Weltbild passen. Insofern wäre es meiner Meinung nach ein großer Zugewinn, wenn etablierte Medien es auch verstärkt zulassen würden, entgegengesetzte Perspektiven einzubinden – um die endgültige Einordnung eines Sachverhalts dem Leser zu überlassen.

Vermutlich liegt auch genau darin der Ursprung des schleichenden Vertrauensverlusts vieler Menschen in etablierte Medien – weil nicht immer klar und leicht zu unterscheiden ist, was noch objektive Berichterstattung oder schon subjektive Einschätzung ist. Wenn darin ein Widerspruch zu erkennen ist, leidet die Authentizität des Mediums.

Und Authentizität wird, davon kann man jedenfalls ausgehen, über kurz oder lang ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein.

Diese Entwicklung zeichnet sich bereits in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft ab (etwa die Wahrnehmung starker Marken durch starke Persönlichkeiten, z.B. Apple durch Steve Jobs oder Tesla durch Elon Musk) und wird deshalb wohl auch nicht vor dem des politischen Meinungsgeschäfts haltmachen. Vor diesem Hintergrund warten also enorme Herausforderungen auf den Journalismus der Zukunft, auch weil sich die Interessen der Gesellschaft zunehmend segmentieren.

Umgekehrt soll das aber nicht heißen, dass Qualität keine Rolle mehr spielt. Es ist überaus wohltuend zu wissen, dass die Chef-Redaktionen deutscher Leitmedien nach wie vor mit erstklassigen Journalisten besetzt sind – egal ob bei der FAZ, beim Spiegel, der Zeit oder der Süddeutschen. Die Qualität, komplexe und vielschichtige Sachverhalte präzise zu analysieren und mit einem klaren Blick einzuordnen ist also zweifelsfrei vorhanden – für zu viele Menschen allerdings bleiben diese Texte bis auf absehbare Zeit hinter einer unüberwindbaren Paywall versteckt.

Insofern braucht es vor allem neue Geschäftsmodelle, die es erlauben auf hochwertigen Content möglichst bedarfsorientiert, zu attraktiven Preisen und nach eigenem Gusto zuzugreifen. Denn Digitalisierung bedeutet nicht nur, analoge Produkte digital anzubieten, sondern auch die Customer Experience grundlegend zu verändern und zu verbessern.

Und mitsamt ihren technologischen Möglichkeiten, stellt die Digitalisierung auch content-seitig eine riesengroße Chance für die journalistische Arbeit dar. Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten Informationen besser verarbeitet und vermittelt werden, als es heutzutage der Fall ist. Ob Audio, Text, oder Video mitsamt aussagekräftige Grafiken und realitätsnahe Visualisierungen – den Möglichkeiten der Berichterstattung sind kaum Grenzen gesetzt. In Anbetracht dessen aber haben etablierte Medienhäuser sicherlich einen entscheidenden Vorteil, weil sie zur Umsetzung derart aufwendiger Projekte schon entsprechende Ressourcen und Kapazitäten haben, die ein einzelner Meinungsmacher niemals haben kann.

Und neben alledem wird es noch auf eine weitere Sache ankommen: Journalismus soll und muss wieder verstärkt eigene Impulse setzten.

Zu oft beschleicht einen, jedenfalls mich, beim Lesen vieler Artikel das Gefühl einer wortwörtlichen ‘Bericht-Erstattung’. Es wird viel zu viel Lärm um das politische Tagesgeschäft gemacht und viel zu wenig Gestaltungsanspruch in die Rolle einer vierten staatlichen Gewalt hineininterpretiert. Einen Gestaltungsanspruch, den Politik in der Form nicht leisten kann, den unsere Gesellschaft aber unbedingt braucht. Mehr als je zuvor.


> Picture is takem from stocksnap.io <