Das Annual Meeting des WEF in Davos war auch in diesem Jahr wieder hochkarätig besetzt. Staatschefs aus aller Welt, Konzernlenker und Entrepreneure, aber auch Querdenker und eine Vielzahl an Journalisten waren mit von der Partie. Doch was bleibt wirklich übrig, wenn so viele wohl betuchte Menschen über die Probleme dieser Welt sprechen? Diese Frage stellt sich zurecht. Und vor diesem Hintergrund ist der Ruf dieser Veranstaltung auch nicht immer tadellos – die Bild-Zeitung hat etwa mit folgenden Worten getitelt. “Davos – der abgeschottetste Ort der Welt. Weiter weg von den Menschen geht nicht!”
Ich persönlich sehe das nicht ganz so eng. Es ist gut, dass diese mächtigen Menschen zusammenkommen und sich Gedanken über die Zukunft dieses Planeten machen. Sowohl etwaige Verschwörungstheorien als auch zu hohe Erwartungen an eine solche Veranstaltung halte ich allerdings für überzogen – denn viel zu schnell wird dabei die Komplexität dieser Welt unterschätzt mitsamt ihren Verstrickungen, die im letzten Jahr gewiss nicht weniger geworden sind. Ein US-Präsident von unberechenbarem Charakter, kryptische Währungssysteme von inzwischen weltweiter Bekanntheit und ein rasender Fortschritt digitaler Technologien in Richtung künstliche Intelligenz. Zugleich aber soll das Wohl der Menschheit erhalten und vermehrt werden – die Herausforderungen könnten zweifelsohne leichter sein.
Am besten also, man nutzt die Möglichkeit und hört den Menschen vor Ort zu. Genau das habe ich gemacht – vier Themenfelder waren dabei meiner Meinung nach von besonderer Relevanz.
EUROPA: Die europäischen Vertreter haben sich ambitioniert und selbstbewusst wie schon lange nicht mehr gegeben.
Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik scheinen Europa endlich als das begreifen zu wollen, was es auch sein sollte – eine leistungsstarke Region mit maximaler Selbstständigkeit und auf Augenhöhe zu den beiden Weltmächten im Osten (China) und im Westen (USA).
Als mitunter drängendstes Handlungsfeld ist dabei sicherlich die strategisch notwendige Verzahnung der Europäischen Union vor allem hinsichtlich der Herausforderungen neuer Technologien zu nennen. Sowohl im Hinblick auf die Schaffung eines vollumfänglichen digitalen Binnenmarktes, als auch der Angleichung eines einheitlichen und wirkungsvollen Steuersystems, das den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht wird. Von mindestens ebenso großer Bedeutung dürfte dazu eine engere Zusammenarbeit in der Außen- und Verteidigungspolitik sein, um insbesondere den Herausforderungen der weltweiten Migration präventiv entgegenzuwirken. Und neben alledem wird es darum gehen, einen europäischen Gesellschaftsentwurf zu formulieren, der eine vernünftige Balance findet zwischen dem marktradikalen Ansatz der USA und dem des Staatskapitalismus in China – sodass Europa auch in Zukunft ein weltweiter Leuchtturm für Friede, Völkerverständigung und Menschenwürde bleibt.
KAPITALISMUS: Spätestens seit Donald Trump muss sich der Kapitalismus in seiner jetzigen Ausprägung zunehmend systemkritischen Fragen stellen. Das Versprechen der Globalisierung, durch grenzenlosen Freihandel eine bessere Welt für alle Menschen zu schaffen, hat an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Zu viele Menschen haben – und das nicht zu Unrecht – inzwischen das Gefühl, dass dabei vor allem eines zu kurz kommt: Verantwortung. Global operierende Konzerne nutzen die Möglichkeit ihre Geschäftsfelder weltweit zu skalieren ohne dabei für etwaige Verfehlungen und gesellschaftliche Verwerfungen belangt werden zu können. Angefangen beim Thema Umweltschutz, über die Vermeidung jeglicher Steuerlast bis hin zu Verletzung persönlicher Schutzrechte.
Gerade deshalb braucht globale Aktivität auch globale Beteiligung – denn es kann und darf nicht sein, dass Vorteile abgeschöpft und Nachteile außer Acht gelassen werden.
Dem Kapitalismus stehen deshalb zwei Herausforderungen gegenüber, die sich teilweise sogar gegenseitig bedingen: es braucht eine Trendwende, weg vom Shareholder-Value hin zum Stakeholder-Value und es braucht marktseitige Umgebungen, die nicht kurzfristiges Denken in Quartalszyklen honorieren, sondern langfristiges und nachhaltiges Wachstum.
TECHNOLOGIE: Eines der wohl umtriebigsten, aber zugleich auch eines der undurchsichtigsten Themen in diesem Jahr. Die technologischen Umwälzungen sind massiv, ganze Branchen stehen vor grundlegenden Transformationen, vor allem wohl diese zwei: zum einen die Energiebranche, denn die – unbedingt notwendige – Entwicklung weg von fossiler und hin zu erneuerbarer Energieerzeugung ist nach wie vor ungebrochen. Dem Ganzen hat auch der US-amerikanische Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen keinen Abbruch getan, viel zu notwendig ist diese Umstellung vor allem in Schwellenländern wie China und Indien. Daneben wird auch die Gesundheitsbranche vor massiven Umbrüchen stehen, der nach wie vor niedrige Grad an Digitalisierung sowie die zukünftigen Möglichkeiten von Bio-Tech sind dabei vermutlich die stärksten Treiber.
Ein Thema allerdings war darüber hinaus allgegenwärtig: Artificial Intelligence. Keiner mag und keiner kann so recht die Folgen abschätzen, weder in technologischer noch in sozialer Hinsicht.
Außer Frage steht aber: die Menschheit, gerade in hochentwickelten und aktuell wohlhabenden Industrienationen wie Deutschland, muss diese Themen proaktiv angehen. Technologie braucht einen gesellschaftlichen Wirkungsrahmen – gerade dann, wenn sie klüger ist als die Menschen selbst.
INKLUSION: Justin Trudeau hat, wie ich finde, die beste Rede auf dieser Veranstaltung gehalten. Stark in der Rhetorik, entschieden im Ton und progressiv in der Sache.
“I am talking about hiring, promoting, and retaining more women. Not because of it is the right thing or the nice thing to do, because it is the smart thing to do. […] Equal pay for women does often not mean equal opportunity or equal treatment or equal sacrifice.”
Damit setzte der kanadische Premierminister gleich am ersten Tag des Forums einen viel beachteten Akzent für die kommenden Tage. Doch im globalen Kontext beschränkt sich das Thema Inklusion freilich nicht auf Gender Equality. Genauso wird es auch darum gehen, menschliche Bedürfnisse global zu denken. Globalisierung darf insofern keine Einbahnstraße sein, als dass die Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern zwar Teil effizienter Wertschöpfungsketten sind, ihr Fortschritt aber hinsichtlich persönlicher Lebensqualität nur geringfügig wahrnehmbar ist. Strategische Entwicklungsfelder dafür gäbe es genug – Bildung etwa, aber auch Gesundheitsversorgung oder Umweltschutz. Darüber hinaus aber hat Inklusion auch noch eine dritte Dimension, speziell in Hochindustrieländern: die steigende Ungleichheit. Viele Menschen nehmen einen massiven sozialpolitischen Kontrollverlust wahr und sehen sich ihrer persönlichen Aufstiegschancen beraubt. Die daraus resultierenden Verwerfungen für einige Demokratien der westlichen Welt sind inzwischen deutlich sichtbar, die weitere Entwicklung davon nur schwer abzusehen. Diese Herausforderungen anzugehen ist bei weitem komplexer als viele Menschen glauben. Doch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich damit intensiver beschäftigen. Ansonsten droht der wichtigste und grundlegendste Baustein für eine bessere Welt verloren zu gehen – sozialer Friede.
“Creating a Shared Future in a Fractured World” – das war der Leitspruch des diesjährigen WEF in Davos, und er war klug gewählt. Denn man kann es auch als Imperativ verstehen, diese Herausforderung nicht ausschließlich den Verantwortungsträgern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu überlassen. Jeder der will, kann und soll an dieser neuen Welt mitarbeiten.
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